Annabelle Hirsch (Philosophin) hat einmal folgende Geschichte „ausgegraben“: Es ist schon einige Jahrzehnte her, da wurde die amerikanische Anthropologin Margaret Mead einmal während eines Vortrages an einer Universität gefragt, welcher Gegenstand ihrer Meinung nach als erstes Anzeichen unserer Zivilisation gewertete werden kann.
Der Student hatte wahrscheinlich erwartet, dass sie über einen Tontopf oder einer Speerspitze, vielleicht auch über irgendeine Form von technischer Errungenschaft, irgendetwas Handfestes spricht, doch Mead antwortete nach kurzem Überlegen kryptisch: “Ein verheilter Knochen“.
Wenn ein Tier sich in der Natur etwas breche, so ihre Argumentation, dann seien seine Überlebenschancen gleich null. Es dauere mehrere Wochen, bis so eine Fraktur wieder zusammenwachse. In dieser Zeit könne es sich weder zu einer Wasserquelle bewegen noch jagen, es würde also verhungern, verdursten oder anderen Tieren zum Opfer fallen.
Knochenfunde, die beweisen, dass ein Mensch viele Jahrtausende vor Christus mit einem gebrochenen Oberschenkelknochen überlebt hatte, sprechen dafür, dass jemand da gewesen war, um sich dieser Person anzunehmen. Jemand, der ihr zu essen und zu trinken brachte, der bei ihr blieb und ihre damit die Möglichkeit gab, in Ruhe gesund zu werden. Das erste Anzeichen unserer Zivilisation seien demnach keine Waffen oder sonstigen Erfindungen, sondern unsere Fähigkeit, uns nicht mehr nur um uns selbst, sondern auch um andere zu sorgen.
Mich fasziniert diese Geschichte, weil sie deutlich macht, was uns jenseits der Krisen um uns herum zusammenhält / zusammenhalten kann – in unseren Familien, in der Polizeifamilie, in unserer Gesellschaft: der sorgende Blick auf Andere.
Dies leuchtet an Weihnachten auf – dies kann uns durch dieses ablaufende Jahr noch begleiten und als Hoffnung im Neuen Jahr einen optimistischen Impuls setzen.
Ein ruhiges, frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen / Dir
Matthias Orth (Polizeiseelsorger des Bistums Speyer)
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